Muss der Arbeitgeber die Überstunden bezahlen?
Die Frage ob der Arbeitgeber die Überstunden bezahlen muss oder nicht, hat nichts mit den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zu tun. Das Arbeitszeitgesetz regelt lediglich die Frage der höchstzulässigen Arbeitszeit, nicht dagegen die Frage der Entlohnung. Die Frage der Entlohnung von Überstunden wird durch Vertragsklauseln, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder § 612 BGB geregelt. Selbst wenn die Anzahl der Überstunden, die ein Arbeitnehmer geleistet hat, einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz darstellt, kann der Arbeitnehmer z.B. nach § 612 BGB dennoch verlangen, dass ihm die Überstunden entlohnt werden.
Allerdings muss der Arbeitgeber nur in bestimmten Fällen die Überstunden auch bezahlen.
Es ist zunächst immer vorrangig zu prüfen, ob es bezüglich der Überstunden eine vertragliche, tarifvertragliche oder betriebliche Regelung gibt. Erst wenn es keine derartige Regelung gibt, oder die Regelung aus dem Arbeitsvertrag, dem Tarifvertrag oder der Betriebsvereinbarung unwirksam ist, dann ist § 612 BGB zu prüfen.
a) Überstundenvergütung aus Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung
Falls der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer in einer vertraglichen Klausel vereinbart hat, dass die Überstunden vergütet werden, kommt es darauf an, ob diese Vertragsklausel auch wirksam ist. Eine Vertragsklausel ist unwirksam nach den §§ 307, 308, 309 BGB wenn sie einen der Vertragspartner unangemessen benachteiligt oder intransparent ist. Eine unangemessene Benachteiligung liegt insbesondere vor, wenn der Wert von Leistung (Arbeit) und Gegenleistung (Lohn) zu stark auseinanderdriftet. Auf die Überstundenvergütung übertragen bedeutet dies:
Wenn der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag eine Klausel vereinbart hat die in etwa lautet:
„Sämtliche Überstundenansprüche sind mit dem Grundgehalt abgegolten“
dann ist die Klausel unwirksam, zum einen weil sie intransparent ist, der Arbeitnehmer weiß nicht, auf was er sich einlässt, zum anderen weil die Klausel es dem Arbeitgeber ermöglichen würde, den Arbeitnehmer das doppelte seiner vertraglichen Arbeitszeit arbeiten zu lassen, ohne dass sich an der auszuzahlenden Vergütung etwas ändern würde.
Beispiel: Der Arbeitgeber vereinbart mit dem Arbeitnehmer einen Teilzeit-Arbeitsvertrag. Der Arbeitnehmer soll demnach zwanzig Stunden pro Woche arbeiten. Der Arbeitsvertrag enthält Klauseln mit dem folgenden Inhalt:
„...Der Arbeitnehmer ist verpflichtet Mehr- und Überarbeit zu leisten, soweit dies gesetzlich zulässig ist...“ „Sämtliche Überstundenansprüche sind mit dem Grundgehalt abgegolten“
In der Folgezeit lässt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer jede Woche mindestens vierzig Stunden arbeiten. Kann der Arbeitnehmer für die zwanzig zusätzlichen Stunden Überstundenvergütung verlangen?
Lösung: Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass ihm nach § 612 BGB für die vierzig Stunden pro Woche die er geleistet hat, der übliche Lohn ausgezahlt wird. Zwar hat er sich vertraglich mit dem Arbeitgeber darauf geeinigt, dass sämtliche Überstundenansprüche mit dem Grundgehalt bezahlt sind, allerdings ist diese vertragliche Vereinbarung unwirksam, weil sie gegen die §§ 307, 308, 309 BGB verstößt. Eine unwirksame Vertragsklausel wird so behandelt, als habe der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer überhaupt keine Vertragsklausel vereinbart. Fehlt es an einer vertraglichen Vereinbarung dann greift der § 612 BGB, wonach der Arbeitgeber die übliche Vergütung für die Überstunden schuldet.
Anders stellt sich die Rechtslage jedoch dar, wenn der Arbeitgeber eine vertragliche Lösung gefunden hat, welcher zufolge der Arbeitnehmer für die geleisteten Überstunden bezahlten Freizeitausgleich erhält. Eine solche Klausel kann in einem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag vereinbart werden und könnte in etwa so aussehen:
„Für die geleistete Mehrarbeit erhält der Arbeitnehmer bezahlten Freizeitausgleich“
Eine solche Klausel ist in einem Arbeitsvertrag nicht unwirksam, da sie den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligt. Der Arbeitnehmer erhält die Überstundenvergütung in der Form des bezahlten Freizeitausgleichs und wird damit so gestellt, als habe er die Überstunden vergütet erhalten. Da die Klausel wirksam ist, kann in diesen Fällen auch nicht der § 612 BGB greifen. Folglich hat der Arbeitnehmer in diesen Fällen gerade keinen Anspruch auf eine Überstundenvergütung sondern nur einen Anspruch auf einen Freizeitausgleich.
Ähnlich ist bei der Prüfung von Überstundenklauseln in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen vorzugehen, mit dem Unterschied, dass Tarifverträge keiner AGB-Kontrolle unterliegen
b) Überstundenvergütung nach § 612 BGB
Wenn der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer keine Vereinbarung getroffen hat, wie Überstunden zu vergüten sind und es auch keine Regelung in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung gibt, dann greift das Gesetz ein. Dieses regelt in § 612 BGB, dass bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung die „übliche Vergütung“ gesetzlich als vereinbart gilt. Welche Vergütung üblich ist, bestimmt sich nach der Art der Tätigkeit und den Sitten und Gepflogenheiten der Branche in welcher der Arbeitnehmer tätig ist.
Folgendes ist jedoch zwingend zu beachten: Nach § 612 BGB gilt eine Vergütung nur dann als stillschweigend vereinbart, wenn eine solche Vergütung den Umständen nach zu erwarten ist. Das bedeutet, dass die konkrete Art der Tätigkeit, das Arbeitsverhältnis und das Grundgehalt entscheidend dafür sind, ob bei Überstunden auch eine Vergütung zu erwarten ist.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 22. Februar 2012 –5 AZR 765/10) begründet dies so:
Zitat:
Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienst-
leistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Diese Vergütungserwartung ist im Streitfall gegeben.Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankommt. Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für
vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen. Die - objektive - Vergütungserwartung wird deshalb in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10; 21. September 2011 - 5 AZR 629/10 - Rn. 31 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 11). Sie wird aber fehlen, wenn arbeitszeitbezogene und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind (vgl. BAG 21. September 2011 - 5 AZR 629/10 - Rn. 32, aaO) oder wenn Dienste höherer Art geschuldet sind oder insgesamt eine deutlich herausgehobene Vergütung gezahlt wird (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20, 21, aaO). Von letztem Fall wird regelmäßig ausgegangen werden können, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Mit dieser dynamischen Verdienstgrenze gibt der Gesetzgeber alljährlich zu
erkennen, welche Einkommen so aus dem in der Solidargemeinschaft aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten herausragen, dass damit keine weitere Rentensteigerung mehr zu rechtfertigen ist. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus der Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehlt regelmäßig die objektive Vergütungserwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleistung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit.(zit. aus: BAG, Urteil vom 22. Februar 2012 –5 AZR 765/10)
Zitatende
Fehlt es im Arbeitsvertrag an einer Klausel, in welcher die Überstundenvergütung geregelt ist, dann muss § 612 BGB geprüft werden. Hierbei ist entscheidend, ob bei der konkreten Arbeitstätigkeit auch für Überstunden eine Vergütung überhaupt zu erwarten ist. Bei Diensten höherer Art, deren Grundgehalt bereits die Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung erheblich übersteigt, wird dies regelmäßig nicht der Fall sein. Die Folge ist, dass in solchen Tätigkeiten der Arbeitnehmer eine Vergütung nach § 612 BGB für Überstunden regelmäßig nicht erwarten kann. Obwohl es an einer vertraglichen Grundlage fehlt, greift in diesen Fällen der § 612 BGB nicht und der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf eine Vergütung seiner Überstunden.
Erst wenn eine genaue Prüfung der Tätigkeit ergibt, dass Arbeitnehmer dieser Tätigkeit üblicherweise regelmäßig eine Vergütung ihrer Überstunden verlangen können, dann greift der § 612 BGB und der Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Anspruch auf Vergütung seiner Überstunden nach § 612 BGB. Fraglich ist dann nur, in welcher Höhe der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Überstundenvergütung hat. Die Höhe soll der für die Tätigkeit „üblichen“ Vergütung entsprechen. Es muss also für diese konkrete Tätigkeit herausgefunden werden, welche Höhe „üblich“ ist, dies ist von Tätigkeit zu Tätigkeit und Branche zu Branche verschieden.
So können Tarifverträge, die für den Arbeitnehmer gerade nicht bindend sind,trotzdem zur Bestimmung der üblichen Vergütung herangezogen werden um einen Richtwert zu erhalten, welche Vergütung üblich sei. Fehlt es an branchentypischen Tarifverträgen kann auch ein Sachverständigengutachten der örtlichen Berufskammer oder der Industrie- und Handelskammer hinzugezogen werden. Der Arbeitnehmer kann sich auf die entsprechenden Tarifverträge oder Sachverständigengutachten stützen, und sich seine Überstunden in der errechneten Höhe ausbezahlen lassen.
Wieviele Überstunden darf ich höchstens arbeiten? Wie setze ich mich durch?