Vom Leiharbeitnehmer zum Festangestellten
Landesarbeitsgericht Bremen, Urteil vom 12. Juli 2016 – 1 Sa70/15
Der Fall:
Die Arbeitnehmerin hatte seit dem Jahr 2006 einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einem eingetragenen Verein als schulpädagogische Assistentin geschlossen.
Der Verein selbst verfügte keine Räume, in denen er unterrichtete und auch keine Verwaltung, in welchem die Klägerin tätig werden könnte. Die Klägerin wurde in ihrer Funktion als schulpädagogische Assistentin stattdessen an einer öffentlichen Schule tätig. Dort betreute sie die Schüler, war als Kurleiterin in den Stundenplan eingetragen und sprach sich bezüglich ihrer Tätigkeit mit den Kollegen ab und erhielt Weisungen von der Schulleitung. Zwischen dem Verein und der öffentlichen Schule wurde ein Kooperationsvertrag mit folgendem Inhalt geschlossen:
§ 1 Gegenstand
Gegenstand dieses Vertrages ist die Bereitstellung von Personal zum Zweck der Wahrnehmung folgender Aufgaben für den Senator für Bildung und Wissenschaft
- ergänzender Förderunterricht für Kinder und Jugendliche nicht-deutscher Herkunftssprache
- ergänzende Förderung von Kindern mit ausgewiesener Lese-Rechtschreibschwäche
- ergänzende Maßnahmen zur Unterrichtsvertretung
Die o.a. Projekte werden in den anliegenden Einzelvereinbarungen beschrieben. ...
§ 5 Mitarbeiter/innen
Die Auswahl und die Anstellung von Personal obliegt der ... e.V.
Die Auswahl der Mitarbeiter/innen hat sich am vorher festgelegten Bedarf (siehe Einzelvereinbarungen) zu orientieren. Neben der persönlichen Eignung muss die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter auch über die vom Senator für Bildung und Wissenschaft geforderte Qualifikation verfügen, um Inhalt und Ziel der Maßnahme verwirklichen zu können. Insoweit ist die Auswahl mit dem Senator für Bildung und Wissenschaft im Einzelfall abzustimmen.
§ 6 Angestelltenverhältnis
Die unter § 4 genannten Mitarbeiter/innen sind Arbeitnehmer/innen der ... e.V. und unterliegen in arbeitsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ausschließlich den zwischen ihnen und der ... e.V. getroffenen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen.
Die ... e.V. als Arbeitgeber hat die alleinige Dienst- und Fachaufsicht.
Während der Erbringung von Dienstleistungen in der Schule ordnet sich das eingesetzte Personal in die schulorganisatorischen Abläufe ein und nimmt im Rahmen der festgelegten Maßnahme und im Sinne des Hausrechts Einzelanweisungen der Schulleitung entgegen.
Die Zuständigkeit der ... e.V. für die generelle Dienst- und Fachaufsicht nach Abs. 1 Satz
bleibt dadurch unberührt. Konflikte werden gemäß §§ 3 und 6 dieses Vertrages gelöst.
Der Erholungsurlaub ist in den Schulferien zu nehmen.
§ 7 Konfliktmanagement
Die ... e. V. und die jeweilige Schule sind bei der Umsetzung der festgelegten Maßnahme zu einer engen Kooperation verpflichtet. In strittigen Fällen entscheidet der Senator ....... in Abstimmung mit der .... e. V. ...
§ 12 Einzelvereinbarungen
Das Verfahren zur Festlegung der Bedarfe, sowie Umfang und Inhalt der jeweiligen Projekte werden in Einzelvereinbarungen festgelegt, die diesem Kooperationsvertrag beigefügt sind.
Die Einzelvereinbarungen sind Bestandteil dieses Vertrages…
Zum 01.12.2011 wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geändert. Seit dem 01.12.2011 benötigen Arbeitgeber auch dann eine Erlaubnis, wenn Sie Arbeitnehmer nur im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit verleihen. Eine gewerbsmäßige Tätigkeit und damit eine Gewinnerzielungsabsicht sind seitdem nicht mehr erforderlich, sodass auch ein gemeinnütziger Verein, der Arbeitnehmer verleiht, dies im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit tut und daher zwingend der Erlaubnis bedarf.
Die gesetzlich notwendige Erlaubnis wurde dem e.V. erst zum 15.08.2012 erteilt. In der Zeit vom 01.12.2011 bis zum 15.08.2012 wurde die Arbeitnehmerin nach Einschätzung des Gerichts als Leiharbeitnehmerin tätig, ohne dass die Verleiherin, also der e.V. bei dem sie angestellt war, eine Erlaubnis zum Verleih der Arbeitnehmerin hatte. Der Kooperationsvertrag zwischen der e.V. und der öffentlichen Schule war dabei entscheidungserheblich, da aus § 6 des Kooperationsvertrages hervorging, dass die Arbeitnehmerin in den Betrieb der öffentlichen Schule eingegliedert wurde und den Weisungen der Schulleitung unterlag. Der Arbeitnehmerin gelang es im Gerichtsverfahren die Weisungen die sie erhalten hatte und ihre Eingliederung in den Betrieb mit zahlreichen Beispielen zu konkretisieren. Obwohl die e.V. abstritt, dass die Arbeitnehmerin eine Leiharbeitneherin sei, gelang es der e.V. nicht die Einschätzung des Gerichts mit eigenem Vortrag zu erschüttern.
Das Gericht stellte durch Urteil fest, dass zwischen der Arbeitnehmerin und der öffentlichen Schule seit dem 01.12.2011 nach § 10 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 9 Nr. 1 AÜG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht, da die Arbeitnehmerin aufgrund eines Leiharbeitsvertrages für die öffentliche Schule tätig geworden ist, ohne dass der Verleiher die nach § 1 AÜG notwendige Erlaubnis besessen hätte.
Hintergrund des Urteils
Bei einem Leiharbeitsvertrag tritt ein Verleiher, ein Entleiher und ein Arbeitnehmer auf. Der Arbeitnehmer hat einen Arbeitsvertrag zum Verleiher, häufig eine Zeitarbeitsfirma. Der Verleiher schuldet dem Arbeitnehmer die Lohnzahlung, den Urlaub und sonstige Ansprüche aus dem zwischen Verleiher und Arbeitnehmer geschlossenen Vertrag. So weit ergeben sich keine Besonderheiten zu einem gewöhnlichen Arbeitsvertrag. Zu einem Leiharbeitnehmer wird der Arbeitnehmer, wenn der Verleiher seine Weisungsbefugnis über den Arbeitnehmer an eine andere Firma, den Entleiher, ausleiht. Weisungsbefugnis bedeutet das vertragliche Recht, dem Arbeitnehmer Anweisungen zu geben, wie, wann und wo er seine Arbeit verrichten sollte. Bei einem Leiharbeitsverhältnis werden die Leiharbeitnehmer in einer Firma tätig, zu der sie überhaupt keinen Arbeitsvertrag geschlossen haben. Trotzdem müssen sie den Weisungen des Entleihers Folge leisten, wie alle anderen Arbeitnehmer auch. Äußerlich sind Leiharbeitnehmer kaum von den Festangestellten zu unterscheiden. Unterschiede ergeben sich aber vor allem dann, wenn es um die Bezahlung geht. Zwar sieht § 9 Nr.2 AÜG vor, dass Leiharbeitnehmer keine schlechtere Bezahlung erhalten dürfen, als die Festangestellten, allerdings ist für die Leiharbeitnehmer eine Unterschreitung der Löhne der Festangestellten durch Tarifverträge möglich. Dies zeigt auch das Dillemma langjährig beschäftigter Leiharbeitnehmer auf: Obwohl sie über mehrere Jahre dieselben Tätigkeiten erbringen wie die Festangestellten, können sie sich nicht auf die für die Festangestellten geltenden Tarifverträge berufen, sondern leiten ihre Ansprüche aus eigenen Tarifverträgen ab, die unter Umständen nur eine geringere Bezahlung vorsehen. Hieraus entspringt bei langjährigen Leiharbeitnehmern die Motivation nach Wegen zu suchen, um aus dem Leiharbeitsverhältnis zum Verleiher ein Festangestelltenverhältnis zum Entleiher zu machen.
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sieht nur einen Fall vor, in welchem aus dem Leiharbeitsverhältnis kraft Gesetzes ein Festangestelltenverhältnis wird: den § 10 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 9 Nr. 1 AÜG. Nach dieser Norm wandelt sich der Leiharbeitsvertrag automatisch in einen Festangestelltenvertrag, wenn der Verleiher keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt.
In dem vorliegenden Fall erhielt die Arbeitnehmerin damit zum 01.12.2011, also dem Zeitpunkt zu dem das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in Kraft trat, automatisch einen Festangestelltenvertrag zum Entleiher. Der Grund hierfür ist, dass die e.V., bei der die Arbeitnehmerin beschäftigt war, spätestens zum 01.12.2011 eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung benötigt hatte und keine derartige Erlaubnis vorweisen konnte. Dass die e.V. bis zu diesem Zeitpunkt keine derartige Erlaubnis vorweisen konnte ist insofern nachvollziehbar, als sie als gemeinnützige Einrichtung nach der alten Gesetzeslage keine Erlaubnis benötigt hatte.
Fazit:
Die hier vorgestellte Konstellation ist in der Praxis gar nicht mal so selten. Insbesondere im öffentlichen Sozialwesen, wie den öffentlichen Schulen, greifen die öffentlichen Einrichtungen häufiger auf gemeinnützige Organisationen zurück, um Leiharbeitnehmer zu beschäftigen. Viele derartige Konstrukte entspringen einer mittlerweile veralteten und überholten Konstruktion zur Umgehung des Arbeitnehmerüberlassungsesetzes. Falls die Verleiher zum Stichtag des 01.12.2011 keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hatten, dann haben die bei ihnen beschäftigten Leiharbeitnehmer kraft Gesetzes einen Festanstellungsvertrag mit dem Entleiher erworben. Diejenigen Leiharbeitnehmer für die das in Frage kommt, können durch ein gerichtliches Urteil feststellen lassen, dass sie Festangestellte des Entleihers sind.